Monate lang saß ich in meinem Chor neben einer Sängerin ohne etwas über sie zu wissen. Sie war freundlich und hilfsbereit, wirkte nur manchmal etwas unsicher.
In einer ruhigen Minute erzählte sie mir ihre Lebensgeschichte: Ihre Mutter wurde als Strafgefangene 1941 aus der Ukraine entführt und gezwungen in einer Fabrik zu arbeiten. Hier lernte sie einen französischen Strafgefangenen kennen und lieben, der Vater ihrer Tochter wurde.
Der Franzose kehrte nach dem Zusammenbruch in seine Heimat zurück.- In der Ukraine war die Situation für eine Rückkehr zu unsicher. Die Familienangehörigen waren nach Sibirien verschleppt worden, und es gab keine Nachrichten von ihnen. Also blieb die junge Mutter in Deutschland.
Als „Russin“ wurde das kleine Mädchen von den anderen Kindern gehänselt. Wenn die Mutter erkrankte, was öfter passierte, mußte es immer wieder ins Waisenhaus, wo man es wenig freundlich aufnahm.
Schließlich litt die Mutter unter Verfolgungswahn und mußte im Alter in einem Pflegeheim unter gebracht werden.
Die Familie, in die das Mädchen einheiratete brachte ihr wenig Respekt und Zuneigung entgegen.
Kein Wunder, dass ihr Blick noch heute ausweichend und unsicher ist!
So gehen manche Schatten des schon lange vergangenen Krieges neben uns.